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Von anderen Unternehmen können wir viel lernen. Matthew Jenkin erklärt uns, warum wir uns nicht scheuen sollten, ihre besten Ideen abzugucken und umzusetzen.
Wenn Sie das nächste Mal in einem BMW mit einem Baujahr nach 2001 sitzen, werfen Sie einen Blick auf die Bedienelemente des modernen Infotainmentsystems. Wenn Sie Ihnen bekannt vorkommen, hat das einen guten Grund: Das „iDrive-System“ von BMW wurde von der Videospielbranche inspiriert. Besonders der Hand-Controller ist bei Gamern auf der ganzen Welt beliebt.
Mit den möglichst intuitiv entwickelten Bedienelementen fällt die Navigation im relativ komplizierten Autosystem leicht – und der Blick bleibt sicher auf der Straße. Jeder, der schon einmal einen Playstation-Controller in der Hand hatte, sollte sich sehr schnell an das Autosystem gewöhnen.
Bei dieser Art der branchenübergreifenden Innovation suchen Unternehmen nach frischen Ansätzen außerhalb ihrer Branche und setzen diese in eigenen Unternehmenskontexten ein. In unserer vernetzten Welt wird dieses Vorgehen immer beliebter.
GE Healthcare ließ sich beispielsweise von der Freizeitparkbranche(1) inspirieren, um MRT-Scanner weniger einschüchternd für Kinder zu gestalten. Das Unternehmen gestaltete die Maschinen so, dass sie wie Piratenschiffe oder U-Boote aussehen, und dachte sich Geschichten rund um die Untersuchung aus. Auf diese Weise benötigten deutlich weniger kleine Patienten eine Sedierung.
Owen Maclaren(2) – ein Luftfahrtingenieur und Testpilot im Ruhestand, der an der Spitfire mitgearbeitet hat – nutzte das Konzept des einfahrbaren Fahrwerks, um 1965 den ersten klappbaren, leichten Kinderbuggy zu entwickeln. So mussten sich Eltern bei Flugreisen nicht länger mit einem unhandlichen Kinderwagen abmühen.
Ramon Vullings, der Co-Autor von Not Invented Here(3) beschreibt branchenübergreifende Innovation als „intelligente strategische Wahl“, die für den Erfolg unabdingbar ist, da die Technologie die ursprünglichen Grenzen der einzelnen Branchen sprengt. Der Zugang zu Wissen aus anderen Branchen war noch nie so einfach.
GE Healthcare ließ sich beispielsweise von der Freizeitparkbranche inspirieren, um MRT-Scanner weniger einschüchternd für Kinder zu gestalten.
Übertragbare Ideen
Wo soll ich anfangen? Vullings unterscheidet im Wesentlichen zwischen drei Ansätzen. Den ersten bezeichnet er als Outside-in-Prozess, bei dem ein Unternehmen Wissen und Fähigkeiten aus anderen Bereichen in der eigenen Branche nutzt. Der nächste Ansatz ist der Inside-out-Prozess. Hierbei untersucht ein Unternehmen, welche „Lösungen“ es in andere Branche exportieren kann. Daneben ist noch der gekoppelte Ansatz zu nennen, bei dem ein Unternehmen gezielt gemeinsam mit einem Partner etwas Neues entwickelt.
Wir funktioniert das in der Praxis? Vullings zufolge, sollten Sie sich immer fragen, welche Innovation Sie eigentlich schaffen möchten. Schauen Sie sich dann andere Unternehmen an, die die Unternehmensfunktion, die Sie verbessern möchten, ausgezeichnet beherrschen, und überlegen Sie sich, was Sie von ihnen lernen können und welche ihrer Ansätze Sie auf Ihr Unternehmen übertragen können. Vullings erklärt, dass der Schlüssel zum Erfolg darin liegt, die Innovation nicht einfach zu kopieren, sondern sie auch anzupassen.
Er führt weiter aus, dass Sie Ihren Fokus nicht nur auf Produkte und Dienstleistungen beschränken sollten. Es ist in der Regel besser, die Prozesse, Abläufe, Geschäftsmodelle, Leitung und sogar die Kultur und die Einstellungen des Unternehmens zu betrachten.
„Auf diesen Gebieten können Sie eindrucksvollere Innovationen schaffen als in Ihren Schlüsselprodukten oder -dienstleistungen“, so Vullings. „Ein Unternehmen in meinem Umfeld aus der Telekommunikationsbranche erkannte zum Beispiel, dass der einzige Kontaktmoment mit Kunden die Rechnung war. All diese Telekommunikationsleute konzentrierten sich dann darauf, ihr gesamtes Marketing in diese Rechnung zu stecken. Diese wurde dann so etwas wie eine Broschüre. Das war wirklich eine herausragende Möglichkeit für weitere Verkäufe.“
Lerninstrumente
Vullings ist der Meinung, dass das Identifizieren von Möglichkeiten, um branchenübergreifende Innovationen anzupassen, für einige ein harter Kampf sei. Aus diesem Grund hat er Übungen und kostenlose Online-Tools(4) erstellt, mit denen Geschäftsführer über den eigenen Tellerrand blicken können. Er stellt beispielsweise ein Wortspiel vor, bei dem Sie die Schlüsselverben und -substantive in einer Innovationsfrage mit Synonymen oder angrenzenden Wörtern austauschen.
Nehmen Sie zum Beispiel eine gängige Frage wie: „Wie kann ich mehr Kunden dazu bringen, unser Geschäft zu besuchen?“ Die Schlüsselwörter hierbei sind „Kunde“, „Geschäft“ und „besuchen“. Der Satz könnte stattdessen „Wie kann ich mehr Familien dazu bringen, Zeit in unserem Lagerhaus zu verbringen?“ oder „Wie kann ich mehr Lehrer dazu bringen, unsere App zu nutzen“ lauten. Hierdurch wird Ihre Frage direkt in einen anderen Kontext gestellt, und Sie haben die Möglichkeit, neue Bereiche zu entdecken, bei denen branchenübergreifende Innovation nützlich sein könnte.
Vullings findet, dass SlideShare(5) ebenfalls eine Goldgrube für Erkenntnisse darüber sei, was Unternehmen in anderen Branchen machen. Er führt das Beispiel eines Unternehmens an, für das er beratend tätig war und das das Branding eines Luxusunternehmens nachahmen wollte. Als das Unternehmen die Marke kontaktierte und sich nach den offiziellen Markenrichtlinien erkundigte, wollten sie das Dokument nicht freigeben. Unbeirrt suchte das Unternehmen auf SlideShare und fand zufälligerweise ein Exemplar der Richtlinien, das es einsehen konnte.
Der nächste Schritt nach der Durchführung einer Studie an Ihrem Schreibtisch ist, das Gespräch mit einem Mitarbeiter des Unternehmens zu führen, von dem Sie lernen möchten. Noch besser: Besuchen Sie das Unternehmen persönlich, und verschaffen Sie sich einen Eindruck über die täglichen Geschäfte. „Auf diese Weise lernen Sie am meisten“, findet Vullings.
Coworking-Zusammenarbeit
Der globale Anstieg an Coworking-Bereichen(6) zeigt uns, dass es noch mehr Möglichkeiten zur Interaktion mit Unternehmen anderer Bereiche gibt. Sie können Ideen, Konzepte und Denkweisen miteinander teilen, die zu mehr Innovation, Kreativität und Rentabilität führen können.
Es ist in der Tat nachgewiesen, dass zufällige Begegnungen und ungeplante Interaktionen zwischen Wissensarbeitern – innerhalb und außerhalb von Unternehmen – die Leistung steigern.
Bei einer Deskmag-Umfrage im Jahr 2011(7) mit mehr als 1.500 Coworkern in 52 Ländern gaben drei Viertel der Befragten an, dass sich ihre Produktivität gesteigert habe, seit sie in einem Coworking-Bereich arbeiteten. Vier von fünf Befragten berichteten über eine Vergrößerung ihres Unternehmensnetzwerks, und 92 % gaben an, dass sich ihr soziales Umfeld vergrößert habe.
Eine Studie eines von Zappos in Las Vegas gegründeten Coworking-Projekts zeigte ebenfalls, dass diese Arbeitsbereiche großartige Möglichkeiten für branchenübergreifende Innovationen bieten. Die im Harvard Business Review veröffentlichten Ergebnisse(8) zeigten, dass sich nach sechs Monaten „die persönlichen Begegnungen um 42 %, die Angebote zur Behebung spezifischer Probleme durch andere Coworker um 78 % und die Anzahl der neuen Führungskräfte – Coworker, die Zusammenarbeit initiiert und den Projektumfang und die Ziele ausgearbeitet haben – um 84 % erhöht haben“.
Matthew Jenkin ist US-amerikanischer Journalist und ehemaliger Redakteur von Guardian Careers, dem Online-Portal rund ums Thema Arbeit der britischen Tageszeitung The Guardian.
Quellen:
(1) http://newsroom.gehealthcare.com/from-terrifying-to-terrific-creative-journey-of-the-adventure-series/
(2) http://www.bbc.co.uk/ahistoryoftheworld/objects/CngWUrn0QmuY1R4XpU-zWA
(3) https://www.amazon.co.uk/Not-Invented-Here-Cross-industry-Innovation/dp/9063693796
(4) http://www.crossindustryinnovation.com/tools/
(5) https://www.slideshare.net/
(6) http://www.smallbizlabs.com/2016/08/coworking-forecast-44-million-members-in-2020.html
(7) http://www.deskmag.com/en/all-results-of-the-global-coworking-space-survey-200
(8) https://hbr.org/2014/10/workspaces-that-move-people