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Paul Sillers ergründet, wie flexibles Arbeiten das Leben auf der ganzen Welt verändert. Zu den vielfältigen Auswirkungen u. a. gehören die Unterstützung desorientierter Kinder und die Entzerrung des Verkehrsaufkommens in einigen der überfülltesten Städte der Welt.
1. Neuseeland: Produktivitätssteigerung
Die in Auckland ansässige Treuhandgesellschaft Perpetual Guardian hat im März einen neuartigen Produktivitätstest über flexibles Arbeiten durchgeführt und dabei erstaunliche Ergebnisse erzielt. Über einen Zeitraum von sechs Wochen wurde 240 Mitarbeitern ein freier Tag pro Woche ohne Veränderung der übrigen Vertragsbedingungen angeboten. Gleicher Lohn für weniger Arbeitsstunden. Die Vereinbarung sah vor, dass die Mitarbeiter die Arbeitslast einer Fünf-Tage-Woche bewältigten. Dies schafften sie, indem sie sich innovative Möglichkeiten zur Nutzung der geringeren Arbeitszeit überlegten.
«Engagierte Mitarbeiter sind deutlich produktiver», betont Christine Brotherton, Head of People and Capability von Perpetual Guardian. «Wir sind davon überzeugt, dass die bessere Motivation und Konzentration unserer Mitarbeiter unweigerlich zu einer höheren Effizienz führen werden. Dieser Probelauf ist ein wertvoller und frühzeitiger Test unserer Theorien.»(1)
Laut einer qualitativen und quantitativen Studie(2) der Auckland University of Technology und der University of Auckland verbesserte die Vier-Tage-Woche das Gleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben um 24 %, senkte den Stresspegel um 7 % und verbesserte die allgemeine Zufriedenheit um 5 %(3). Bemerkenswerterweise wurde «keine Verringerung der Arbeitsleistung festgestellt, die Ergebnisse zeigten sogar einen leichten Produktivitätsanstieg in den meisten Teams»(4), was national und international für grosses Aufsehen sorgte. Könnten diese Ergebnisse eine Kettenreaktion auf dem Arbeitsmarkt auslösen? Nach Angaben des New Zealand Herald beobachten andere neuseeländische Unternehmen die nächsten Schritte von Perpetual Guardian mit grösster Aufmerksamkeit(5).
2. Malaysia: Bessere Nutzung von Ressourcen
Chancengleichheit für Arbeitnehmer ist der springende Punkt bei Malaysias Wandel hin zu flexiblem Arbeiten. Eine Studie von TalentCorp und Ernst & Young hat ergeben, dass 90 % der Unternehmen in Malaysia die Wichtigkeit von flexiblem Arbeiten anerkennen(6). Bis vor Kurzem konnte die Wirklichkeit noch nicht mit diesen Ambitionen mithalten. Eine weitere Studie deckte auf, dass 58 % der Arbeitnehmer in Malaysia nicht im Home Office arbeiten können, während 36 % nicht die Möglichkeit auf flexibles Arbeiten haben. Infolgedessen gaben 94 % der befragten Frauen an, dass sie in den nächsten zwölf Monaten einen neuen Job suchen(7).
Als Antwort auf diese Einschränkung von Arbeitskräften hat die Stellvertretende Premierministerin des Landes eine politische Initiative für flexible Arbeitszeiten angestossen. Damit soll einerseits Frauen die Möglichkeit gegeben werden, ihre Qualifikationen beruflich einzusetzen, ohne dabei die familiäre Verantwortung zu vernachlässigen. «Wir haben viele gut ausgebildete Frauen mit hervorragenden Lebensläufen, die sich jedoch auch um kleine Kinder kümmern müssen», schildert Dr. Wan Azizah Wan Ismail (gleichzeitig Ministerin für Frauen und Familienentwicklung) das Problem. «Wenn wir diese Ressourcen nicht besser nutzen, wäre das ein grosser Verlust für unser Land.»(8)
Die Unternehmen haben das beherzigt. Die Citibank ist beispielsweise die erste Bank in Malaysia, die Kinderbetreuungseinrichtungen anbietet(9) – und das zusätzlich zu flexiblen Arbeitszeiten, Telearbeit, einer komprimierten Arbeitswoche, Arbeitsplatzteilung, Teilzeitarbeit und besonderen Abwesenheitsvereinbarungen(10). E&Y Malaysia bietet Mitarbeitern in Führungspositionen gestaffelte Arbeitszeiten, flexibles Arbeiten im Home Office für einen Teil der Woche, Karriereauszeiten, Sabbatjahre und eine gestaffelte Pensionierung. Ausserdem gibt es informelle flexible Arbeitsvereinbarungen. Im Rahmen dieser Absprachen können einige Arbeitnehmer im Home Office arbeiten oder freie Tage zur Erledigung persönlicher Angelegenheiten nehmen. Dies alles geschieht in enger Absprache mit den jeweiligen Teams, damit die Arbeitsziele dennoch erreicht werden(11).
Unabhängig davon ermöglicht ein Mobilitätsprogramm von IBM Malaysia Mitarbeitern das Arbeiten im Home Office oder an Kundenstandorten. Absprachen für Teilzeitarbeit oder in einer Zwei- oder Drei-Tage-Woche sind dort ebenfalls möglich(12).
3. Südafrika: Entspannung der Verkehrslage
Kapstadt – eine der überfülltesten Städte der Welt(13) – möchte Arbeitnehmern mit Möglichkeiten auf Telearbeit(14) und flexibles Arbeiten den Frust der problematischen Verkehrslage in der Stadt(15) ersparen. Aufgrund häufiger Störungen im Schienenverkehr müssen Pendler oft auf das Auto zurückgreifen. Dies verschlimmert die ohnehin schon angespannte Lage auf den Hauptverkehrsadern von Kapstadt. Die ergriffenen Massnahmen für flexibles Arbeiten, vor allem Telearbeit und Home Office(16), tragen jedoch dazu bei, dass sich die Verkehrssituation wieder entspannt. Die Behörden der Stadt möchten auch die Arbeitgeber für die Initiative gewinnen und das Konzept erregt zunehmend Aufmerksamkeit.
Das Steuerberatungsunternehmen Grant Thornton hat schon frühzeitig Möglichkeiten für flexibles Arbeiten in Kapstadt untersucht(17). Die Mitarbeiter des Unternehmens arbeiten von Montag bis Donnerstag acht Stunden täglich und am Freitag 7,5 Stunden, können jedoch die Start- und Endzeit zwischen 6:30 und 17:45 flexibel bestimmen.
90 % der Unternehmen in Malaysia erkennen die Bedeutung von flexiblem Arbeiten an
4. Deutschland: Forderungen nach flexiblem Arbeiten
In Deutschland haben Warnstreiks von Arbeitnehmern zu Beginn des Jahres Arbeitgeber einerseits darauf aufmerksam gemacht, dass es sich nicht um einen Bluff handelte, andererseits haben sie ausgereicht, erhebliche Zugeständnisse für flexibles Arbeiten zu erwirken(18). Arbeitnehmer können ihre Wochenstunden für eine Dauer von bis zu zwei Jahren von 35 auf 28 reduzieren, um familiären Verpflichtungen nachzukommen. Diese Vereinbarung gilt für beinahe eine Million Arbeitnehmer in Baden-Württemberg.
In einer kürzlichen Verhandlungsrunde mit den Arbeitnehmern stellte die Deutsche Bahn fest, dass über 50 % der Mitarbeiter sich für mehr freie Tage entscheiden würden, wenn sie zwischen höherem Lohn, kürzeren Arbeitszeiten und mehr freien Tagen wählen könnten(19).
Dabei soll in keinster Weise an der allgemeinen Arbeitsauffassung in Deutschland gerüttelt werden(20). Die Forderungen nach Möglichkeiten auf flexibles Arbeiten werden jedoch immer lauter. Da die deutsche Wirtschaft derzeit eine geringe Arbeitslosigkeit verzeichnet und fieberhaft nach qualifizierten Arbeitskräften sucht, ergründen immer mehr deutsche Unternehmen und Institutionen neue Möglichkeiten für flexibles Arbeiten.
Die Gewerkschaft Verdi fordert beispielsweise, dass rund 130’000 Mitarbeiter der Deutschen Post zwischen einer Lohnerhöhung von sechs Prozent oder zusätzlichen Urlaubstagen wählen können(21). Schwergewichte wie Porsche und Daimler sehen sich ebenfalls mit Gewerkschaftsforderungen nach flexiblen Arbeitsmöglichkeiten konfrontiert(22).
5. Japan: Einbindung junger Arbeitskräfte
Japans sinkende Geburtenrate(23), eine alternde Bevölkerung(24) und die nachteiligen Effekte von Überarbeitung(25) ergeben zusammen ein gewaltiges Personalproblem. Ironischerweise ergaben die neuesten offiziellen Statistiken, dass ganze 600000 Jugendliche arbeitslos sind(26). Mit flexiblen Arbeitsangeboten will die Regierung jungen Menschen die Möglichkeit geben, wichtige Erfahrung zu sammeln und so auf einem schrumpfenden Arbeitsmarkt wettbewerbsfähiger zu werden.
Zu den Anreizen gehören Fördergelder, die eine neue Denkweise in japanischen Unternehmen anregen sollen und diese auf die Vorteile von flexiblem Arbeiten aufmerksam machen sollen. Dazu gehören Telearbeit (zur Entlastung der überfüllten Pendlerzüge) und weitere internet- und cloudbasierte Methoden, mit denen Arbeitnehmer von anderen Standorten aus arbeiten und sich mit ihrem Büro verbinden können.
Unternehmen haben darauf reagiert, indem sie junge Nichtbeschäftigte mit Methoden für Telearbeit einbinden und schulen. Die Non-Profit-Organisation SODATEAGE-NET hat in Zusammenarbeit mit Microsoft Japan das Praktikumsprogramm für Telearbeit «Youth UP»(27) ins Leben gerufen. Im Rahmen dieses Programms sendet Microsoft Schulungskräfte an gemeinnützige Organisationen. Dort sollen sie die IT-Kompetenzen der Mitarbeiter verbessern und diese so ausbilden, dass sie später selbst IT-Schulungen durchführen können. Innerhalb von nur zwei Jahren seit dem Start sind bereits 41 gemeinnützige Organisation aus ganz Japan dem Programm beigetreten.
Als Teil einer eigenen Initiative hat das Pharmaunternehmen Takeda im August sein hochflexibles Arbeitssystem vorgestellt(28). Dieses Programm umfasst die Abschaffung von festen Arbeitsstunden pro Tag, Halbtagesurlaube, verlängerte Mittagspausen, kurze Pausen während der Arbeitszeit für Arzt- oder Banktermine nach Absprache mit dem Vorgesetzten sowie die Möglichkeit auf Telearbeit. In anderen Worten haben die Mitarbeiter die Möglichkeit auf flexibles Arbeiten und Telearbeit, was nicht unbedingt mit Home Office gleichzusetzen ist.
6. Vereinigtes Königreich: Zeiten des Wandels
Vor Kurzem von HSBC veröffentlichte Daten(29) haben gezeigt, dass 89 % der britischen Arbeitnehmer glauben, dass flexibles Arbeiten der Schlüssel zur Erhöhung der Produktivität ist und die Produktivität eher fördert als finanzielle Anreize. Darüber hinaus sind 81 % der Telearbeiter davon überzeugt, dass diese Möglichkeit zur Erhöhung ihrer Produktivität beiträgt. Demzufolge sind flexibles Arbeiten und eine höhere Arbeitsleistung eng miteinander verknüpft.
Die auf flexibles Arbeiten spezialisierte Beratungsgesellschaft Timewise(30) verfechtet das Konzept des flexiblen Arbeitens und entwickelt Programme, die auf die Geschäftsanforderungen und strategischen Ziele von Unternehmen zugeschnitten sind. In einem gemeinsam mit Deloitte veröffentlichten Bericht(31) wird ein Plan vorgestellt, der fünf Schritte umfasst: Anregung zur Änderung der Unternehmenskultur, Verbesserung der Geschlechtergleichheit, Ausrichtung von Arbeitsstellen auf mehr Flexibilität, Erwirkung der Zustimmung der Unternehmensleitung und Datenerfassung aus erfolgreichen Programmen.
Die Beratungsgesellschaft vergibt ausserdem jährlich die Auszeichnung «Timewise Power 50»(32), mit der führende und innovative Arbeitgeber gekürt werden, die sich besonders für flexibles Arbeiten einsetzen. Die Lloyds Banking Group gewann die Auszeichnung in der Kategorie flexible Personalbeschaffung für die Entscheidung hin zu einem teambasierten Ansatz für agiles Arbeiten. Dieser Ansatz wird durch ein Toolkit für Vorgesetzte unterstützt, das bei der Stellenplanung den Bedarf des gesamten Teams berücksichtigt. Agilität ist jetzt ein Standardangebot von Lloyds. Ungefähr 90 % aller Stellenangebote werden als agil ausgeschrieben. Der nationale Durchschnittswert liegt bei nur 12 %.
Das britische Verteidigungsministerium wurde ausserdem für seinen «Test flexibler Dienstmöglichkeiten» ausgezeichnet. In diesem Test wurde untersucht, wie Beamte mit flexiblen Arbeitskonzepten die Belastung für einen begrenzten Zeitraum einer längeren Dienstlaufbahn reduzieren könnten.
Paul Sillers ist ein britischer Journalist und Autor der International Business Etiquette 20:20.
Quellen:
(1) https://www.perpetualguardian.co.nz/our-services/four-day-working-week-trial
(2) https://www.theguardian.com/world/2018/jul/19/work-less-get-more-new-zealand-firms-four-day-week-an-unmitigated-success
(3) https://www.employeebenefits.co.uk/issues/july-2018/perpetual-guardian-four-day-week/
(4) https://www.employeebenefits.co.uk/issues/july-2018/perpetual-guardian-four-day-week/
(5) https://www.nzherald.co.nz/business/news/article.cfm?c_id=3&objectid=11990560
(6) http://www.theedgemarkets.com/article/more-organisations-see-importance-worklife-practices
(7) https://hrasiamedia.com/uncategorized/2018/75-of-malaysian-mothers-quit-their-jobs-due-to-a-lack-of-flexibility/
(8) https://www.nst.com.my/news/nation/2018/06/378523/flexi-hours-work-arrangement-women-should-be-implemented-dpm
(9) https://www.citigroup.com/citi/news/2010/101123d.htm
(10) https://www.makchic.com/family-friendly-companies-work-malaysia/
(11) https://www.ey.com/my/en/careers/students/life-at-ey#fragment-0-na
(12) https://www.makchic.com/family-friendly-companies-work-malaysia
(13) https://www.tomtom.com/en_gb/trafficindex/list?citySize=LARGE&continent=ALL&country=ALL
(14) http://resource.capetown.gov.za/documentcentre/Documents/City%
20strategies,%20plans%20and%20frameworks/TDM%20Strategy.pdf
(15) https://businesstech.co.za/news/business/244325/cape-town-adopts-flexible-working-hours-to-solve-its-worsening-traffic-problem
(16) https://www.tda.gov.za/en/transport/transport-network/congestion/
(17) https://www.grantthornton.co.uk/insights/unlock-the-potential-for-growth-of-your-people/
(18) https://www.bbc.co.uk/news/world-europe-42959155
(19) https://uk.reuters.com/article/us-germany-wages/german-union-ig-metall-threatens-all-out-strikes-ahead-of-wage-talks-idUKKBN1EZ0XG
(20) https://data.oecd.org/lprdty/gdp-per-hour-worked.htm
(21) https://uk.reuters.com/article/us-germany-wages/german-union-ig-metall-threatens-all-out-strikes-ahead-of-wage-talks-idUKKBN1EZ0XG
(22) http://www.hrreview.co.uk/hr-news/strategy-news/german-industrial-workers-win-right-flexible-hours/110037
(23) https://asia.nikkei.com/Economy/Five-things-to-know-about-Japan-s-work-reform-law
(24) https://www.regus.ch/work-uk/japan-embraced-flexible-working/
(25) http://uk.businessinsider.com/japan-is-facing-a-death-by-overwork-problem-2018-3?r=US&IR=T
(26) https://tradingeconomics.com/japan/youth-unemployment-rate
(27) https://news.microsoft.com/apac/features/working-for-a-change-breaking-free-from-the-traditional-work-culture-in-japan/
(28) https://www.takeda.com/newsroom/takeda-announces-introduction-of-new-highly-flexible-work-styles/
(29) https://www.about.hsbc.co.uk/-/media/uk/en/news-and-media/cmb/171108-flexible-working.pdf
(30) https://timewise.co.uk/
(31) https://timewise.co.uk/wp-content/uploads/2018/05/Manifesto-for-change.pdf
(32) https://timewise.co.uk/employer-awards-2018/